Diskussion in Schwanewede – Ein Beitrag von Marina Köglin aus dem Weserkurier vom 10. Mai 2024
Diskussion in Schwanewede
Konflikte sachlich thematisieren
Armin Himmelrath und Dominik Schmengler diskutierten in Schwanewede über Antisemitismus
Ein Beitrag von Marina Köglin aus dem Weser Kurier vom 10. Mai 2024
Schwanewede. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel markiert den Beginn eines weiteren Krieges im Nahen Osten. Als Reaktion auf die überraschende Terrorattacke begann Israel eine massive Militäraktion gegen den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen. Verbrannte Israelflaggen, der Brandanschlag auf eine jüdische Gemeinde in Berlin, Davidsterne auf Haustüren: Seit dem 7. Oktober steigt auch in Deutschland die antisemitische Gewalt.
Anlässlich des Tages der Befreiung am 8. Mai hatte die SPD Schwanewede Armin Himmelrath zum Gespräch in den Filmpalast Schwanewede eingeladen. Unter dem Titel „Antisemitismus – alte oder neue Wurzeln“ beantwortete der Journalist und Chef des Bildungsressorts des Nachrichtenmagazins Der Spiegel Fragen zum Thema. „Hintergrund sind die antisemitischen Demonstrationen an den Universitäten in den USA, in Europa und besonders in Deutschland“, sagt der Schwaneweder Ratsherr Dominik Schmengler (SPD), der den Diskussionsabend moderierte. Die Veranstaltung hatte sich relativ spontan ergeben; der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist Armin Himmelrath hatte beim Medienkompetenztag an der Waldschule Schwanewede Workshops geleitet. Zusammen mit Julia Schmengler hat er unter anderem das Buch „Fake News“ geschrieben. Am Abend diskutierte er dann mit Dominik Schmengler im Filmpalast über die Zusammenhänge zwischen den Angriffen der Hamas und der Reaktion Israels einerseits und das Erstarken des Antisemitismus auch in Deutschland andererseits. Himmelrath sprach dabei aus journalistischer und privater Sicht: Er hat eine Zeit lang in Beer Sheva (Israel) Germanistik und Sozialwissenschaften studiert und ist mit einer israelischen Jüdin verheiratet. Er beschrieb einige bewegende Erlebnisse mit seiner Schwiegerfamilie in Israel. Ein Beispiel: Da viele ihrer Angehörigen im KZ ermordet wurden, hatten die Großmütter seiner Frau zunächst Vorbehalte gegen den „Täter-Enkel“ –doch im gemeinsamen Gespräch fand man bald zueinander.
Sorge vor Übergriffen
Seit dem 7. Oktober sei ihm schon unwohl, wenn seine erwachsenen Kinder, die auch weiterhin eine Halskette mit Davidstern-Anhänger trügen, abends unterwegs seien, so Himmelrath. Die Sorge vor Übergriffen ist da. „Woher kommt diese neue und deutliche Gewaltbereitschaft? Welche Klientel, welches Milieu stärkt diesen gewaltbereiten Antisemitismus in unserer Gesellschaft?“ fragte Dominik Schmengler. Himmelrath antwortete mit der These, dass völlig verschiedene und sogar gegensätzliche Gruppen im Antisemitismus ein gemeinsames Thema finden. Antisemitismus bringe unterschiedliche politische Lager zusammen: Neonazis, Islamisten und mitunter auch linke Gruppierungen – auf den Hass gegen Israel könne man sich offenbar einigen.
„Die persönliche Sichtweise spielt immer mit rein, das ist ja bei jedem Thema so“, sagte Himmelrath. Trotzdem könne man immer versuchen, einem Thema objektiv und ohne Vorurteile zu begegnen. „Es ist wirklich kein Ding der Unmöglichkeit, sachlich begründete Kritik an israelischer Politik zu äußern, ohne sich in antisemitischen Sprüchen zu ergehen.“ Immer wieder höre man ja den Vorwurf, griff Dominik Schmengler das Thema auf, dass die Bundesregierung sehr zaghaft sei in ihrer Kritik gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen. „Es ist aber auch eine Gemenge-Lage, die man nicht wirklich überblickt“, so eine Frau im Publikum, das der Diskussionsveranstaltung sehr interessiert folgte. „Eine unglaublich ambivalente Situation“, bestätigte Himmelrath. Die historisch begründete Verantwortung Deutschlands einerseits, die humanitäre Pflicht andererseits. Die eine einzig wahre, „richtige“ Antwort gebe es nicht. Und dennoch: Ob auf politischer Bühne, im Privaten oder auch in der Schule – es sei immens wichtig, dass Konflikte nicht ignoriert, sondern thematisiert werden. Es gehöre zu einer demokratischen Gesellschaft dazu, dass man Meinungen und Kritik äußern darf – aber andererseits auch aushalten muss. Gewalt sowie der Aufruf zu Gewalt seien hingegen grundsätzlich inakzeptabel. „Kurzgefasst: Informationen, Diskussionen, Diskurs“, so Armin Himmelrath. Es gehe darum, immer mehrere Perspektiven anzuhören. „Darüber reden, Fragen stellen, Informationen einholen, diskutieren – so wie wir heute Abend hier.“ Im Anschluss an die Diskussionsveranstaltung wurde das Historiendrama „Stella“ gezeigt. Der Film basiert auf der Lebensgeschichte der deutschen Jüdin Stella Goldschlag (1922-1994).